July 2023

Thomas Koller im energate-Interview mit Christian Seelos

"Eine kommunale Wärmeplanung auf Papier macht keinen Sinn"

Bern/Berlin (energate) - Eine gute Datengrundlage ist die Basis für die kommunale Wärmeplanung. Netzbetreiber sollen bei der Datenbereitstellung eine zentrale Rolle spielen, sehen diese Aufgabe aber kritisch. energate sprach mit Thomas Koller, CEO und Gründer des Datenspezialisten enersis europe, darüber, wie aufwendig die Datensammlung wirklich ist und was Deutschland dabei von Nachbarländern lernen kann.

energate: Herr Koller, der Bund will mit dem Gesetz zur kommunalen Wärmeplanung mehr Datentransparenz zumEnergieverbrauch im Gebäudesektor schaffen. Warum sind die Daten so wichtig?

Koller: Wie alle vor uns liegenden Aufgaben zur Erreichung der Klimaneutralität besitzt die kommunale Wärmeplanung (KWP) eine signifikante Komplexität. Denn die KWP durchdringt viele energietechnische und -wirtschaftliche Bereiche: von den Gebäuden über die Netze bis hin zu den Erneuerbaren und städtischen Entwicklungen. Das bedeutet: Eine umfassende Datengrundlage ist nicht nur wichtig, sondern grundlegend für eine valide Planung. Es gilt, die Realität des Status quo bestmöglich digital zu erfassen, um die richtigen Dinge zu planen. Schließlich werden wir in den Umbau viel investieren. Übrigens gehören zum "Digitalen" in der KWP nicht nur Daten, sondern auch die elektronische beziehungsweise maschinenlesbare Form. Dies wird im Entwurf des geplanten Gesetzes glücklicherweise konkret vorgegeben. Glücklicherweise deshalb, weil dies in Deutschland leider immer noch explizit erwähnt werden muss. Im Kontext der Datentransparenz spielt noch ein dritter Punkt eine Rolle: die Nutzung digitaler Anwendungen für die kommunale Wärmeplanung. Eine kommunale Wärmeplanung auf Papier macht keinen Sinn. Sie muss bis zur vollständigen Umsetzung gepflegt und angepasst werden - und das geht nicht mit geplotteten Netzplänen und verteilten Excel-Diagrammen. Hier wünschen wir uns klare Formulierungen.

"Denn die KWP durchdringt viele energietechnische und -wirtschaftliche Bereiche: von den Gebäuden über die Netze bis hin zu den Erneuerbaren und städtischen Entwicklungen. Das bedeutet: Eine umfassende Datengrundlage ist nicht nur wichtig, sondern grundlegend für eine valide Planung"

energate: An dem Vorhaben gab es schon bei Bekanntwerden des ersten Gesetzesentwurfs Kritik. Das Wort "Heizungs-Stasi" machte die Runde. Sind gebäudescharfe Daten überhaupt erforderlich?

Koller: Ein deutliches "Ja". Die Planung ist komplex, die Gegebenheiten in jeder Stadt sind unterschiedlich. Aktuell wird die öffentliche Debatte von der Wärmepumpe bestimmt. Sie ist aber nur ein - wenn auch wesentliches - zukünftiges Heizungssystem. Wir werden einen Mix aus Wärmepumpen, Nah- und Fernwärmeverdichtungen sowie einem übrig bleibenden Rest von Gas sehen. Selbst für die Erstellung einer Grobplanung - mehr ist die KWP nicht - sollte es ersichtlich sein, dass ohne gebäudescharfe Daten keine belastbare Planung möglich ist, von einer detaillierten Quartiersplanung gar nicht zu sprechen. Übrigens werden dafür bereits seit Längerem gebäudescharfe Daten erhoben. Was mir an der aktuellen Diskussion fehlt, sind zwei Dinge:

Erstens, dass in einer technisch und wirtschaftlich sehr komplizierten Thematik die politische Auseinandersetzung die technische Expertise so deutlich überstrahlt. Und zweitens der fehlende Blick ins Ausland: In der Schweiz oder in Dänemark sind zentrale Heizungsregister seit Jahren - und zwar unter Wahrung aller datenschutzrelevanten Aspekte - gang und gäbe und erzielen ihren Nutzen in der Planung.

energate: Eine zentrale Rolle soll bei der Datenerhebung den jeweiligen Netzbetreibern zukommen. Die fürchten hohe Aufwände. Zu Recht?

Koller: Grundsätzlich bedeutet jede Datenbereitstellung einen Aufwand. Allerdings ist der - im Vergleich zu anderen aktuellen digitalen Herausforderungen der Netzbetreiber - sehr überschaubar. Auch hier stellt sich eher die Frage des Datenflusses und der Updates. Es handelt sich nicht um einen einmaligen, sondern um einen wiederkehrenden Vorgang. Das bedeutet, standardisierte Datenformate und automatisierte Schnittstellen sollten der eigentliche Diskussionsstand sein.

Wir hier stellen aber mehrheitlich konstruktive und aktive Ansätze der Netzbetreiber fest. Einige unserer EVU-Kunden stellen ihren Städten die Daten bereits automatisiert per Klick zur Verfügung oder liefern ihnen die notwendige Treibhausgasbilanz. Weiterhin macht es Sinn, dass die Versorgungsunternehmen eine aktive und zentrale Rolle bei der kommunalen Wärmeplanung spielen. Sie haben die notwendigen Daten, aber auch die notwendige planerische und umsetzungstechnische Kompetenz. Wir vertreten die Meinung, dass eine umsetzbare KWP nur von Gebietskörperschaft und EVU zusammen erstellt werden kann.

energate: Heute liegen die erforderlichen Daten an verschiedenen Stellen. Wie sehr blockiert der zu geringe Digitalisierungsgrad eine effiziente Datenerhebung?

Koller: Die stark verteilten Datenquellen sind den vielen Beteiligten einer Querschnittsthematik wie der KWP geschuldet und daher auch nicht zu vermeiden. In einem üblichen Projekt sind für uns bis zu 50 unterschiedliche Datenquellen normal. Nicht zu vergessen, dass hier bundeslandspezifische Unterschiede noch on top kommen. Dies ist also einerseits - auf alle Fälle kurzfristig - von den Planern oder Softwareanbietern wie uns zu managen.

Aber es gibt großes Potenzial, dies effizienter zu gestalten. Jede Stadt ist anders, aber die notwendigen Daten könnten erstens durchaus bundes- oder zumindest landesweit einheitlich erhoben werden. Zweitens werden mögliche Methoden der KI-gestützten Datenerhebung, zum Beispiel die Feststellung von Sanierungszuständen durch Bildauswertungen, noch zu wenig genutzt. Drittens erschweren die bekannten Digitalisierungsdefizite in der Verwaltung den Prozess zusätzlich.

energate: Bis Ende 2026 sollen für alle Großstädte kommunale Wärmepläne vorliegen, bis Ende 2028 für alle anderen Kommunen und Landkreise. Ist dieser Zeitplan aus Ihrer Sicht realistisch?

Koller: Es ist ambitioniert, aber die Notwendigkeit unbestreitbar: Nach der Planung fängt die Umsetzung ja erst an. Und es ist machbar: Es gibt ja eine Vielzahl von Städten, die in ihrer KWP bereits fortgeschritten sind, und wir werden noch dieses Jahr eine Reihe von Veröffentlichungen, im Besonderen in Baden-Württemberg, sehen.

Allerdings gibt es auch reglementierende Faktoren. Die planerischen Kapazitäten sind begrenzt und meine persönliche Prognose ist, dass viele mittlere und kleinere Städte, die sich erst nächstes Jahr aufmachen, von Planungsbüros gar keine Angebote mehr bekommen werden. Es gibt aber zwei einfache Maßnahmen, wie wir das Thema stemmen können: der ganzheitliche, umfassende Einsatz von digitalen Tools in Verbindung mit der Einbindung der Ressourcen und Kompetenz der Energieversorger.

Die Fragen stellte Christian Seelos.

Das Interview erschien am 14.07.2023 im energate messenger.

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Thomas Koller

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